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Panorama

Kölner Prominenz und Stadtgesellschaft fordert armenisches Genozid-Mahnmal

2018 wurde in Köln nahe dem Dom ein Mahnmal zum Genozid an den Armeniern enthüllt. Wenige Tage später ließ es die Stadt abreißen. Nun wendet sich die „Initiative Völkermord erinnern“ an Henriette Reker und erhält dabei prominente Unterstützung.

Übergabe vom 16. Juni 2021 eines Offenen Briefes der Initiative Völkermord erinnern an OB Reker.

Vor 5 Jahren, am 2. Juni 2016, hat der Deutsche Bundestag in einer Resolution den Genozid an den Armeniern 1915 als historische Tatsache anerkannt und die deutsche Mitverantwortung unter Kaiser Wilhelm II. eingestanden. In dieser Resolution wird die Zivilgesellschaft aufgefordert, die Erinnerung an dieses genozidale Verbrechen wachzuhalten: „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen finanzieller Möglichkeiten auch weiterhin innerhalb Deutschlands Initiativen und Projekte in Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kultur zu fördern, die eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen von 1915/1916 zum Thema haben.“

Die Kölner Inititative „Völkermord erinnern“ hat 2018 ein Mahnmal enthüllt, das dieser Aufforderung entspricht. Nur wenige Tage nach der Enthüllung wurde das Mahnmal „Dieser Schmerz betrifft uns alle“ von der Stadt Köln allerdings wieder entfernt, mit der Begründung, dass es „angesichts der Vielzahl türkischer Mitbürger in Köln sehr sensiblen Themas“ ein „hohes Konfliktpotential“ bei Aufstellung im „öffentlichen Straßenland“ aufweise. In einem Offenen Brief an die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker bittet die Initiative darum, das Mahnmal an der Hohenzollernbrücke, in unmittelbarer Nähe zum Reiterstandbild von Kaiser Wilhelm II., zu errichten.

Diese Bitte wird von einer beeindruckenden Zahl Kölner Prominenter und Institutionen unterstützt. Zu ihnen gehören der Architekt von Ma’alot Prof. Dr. Peter Busmann, der Regisseur Nuran David Calis, Gunter Demnig (Stolpersteine), Pfarrer Franz Meurer, der „Monitor“-Leiter Georg Restle, der Vorsitzende der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln (ACK), das KulturForum TürkeiDeutschland, das Alevitische Kulturzentrum Köln-Porz, der Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland TÜDAY, der Verein ELDE-Haus und viele mehr. Nachfolgend der Offene Brief im Wortlaut.

***

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Reker,

am Sonntag, den 15. April 2018 hatte die Kölner Initiative »Völkermord Erinnern«, auf der linksrheinischen Seite der Hohenzollernbrücke, gegenüber dem Reiterstandbild Kaiser Wilhelm II., das Mahnmal »Dieser Schmerz betrifft uns alle« errichtet. Es erinnert an den Genozid an der armenischen Bevölkerung während der Zeit des Ersten Weltkrieges und die damit verbundene gemeinsame Verantwortung des Osmanischen und des Deutschen Reiches für dieses Verbrechen. Am 19. April 2018, nur wenige Tag vor dem 24. April, dem weltweiten Völkermordgedenktag, wurde das Mahnmal entfernt und hat bis heute – über drei Jahre später – in Köln keinen festen, öffentlichen Ort des Erinnerns gefunden.

Am 24. April 2021, dem Tag der historischen Anerkennung des Völkermords an den Armeniern durch den amerikanischen Präsidenten Joe Biden, stand das Mahnmal, welches 2018 von dem Schriftsteller Dogan Akhanli, dem Herero-Aktivisten Israel Kaunatjike und dem jüdischen Schriftsteller Peter Finkelgrün enthüllt wurde, erneut am gleichen Ort an der Hohenzollernbrücke. Seit 2018 haben wir beständig mit Veranstaltungen und Diskussionsforen die Erinnerung an den Genozid in der Kölner Stadtgesellschaft verankert, was an den zahlreichen Unterstützer*innen und Pat*innen für das Mahnmal abzulesen ist.

Auf der dreiseitigen stählernen Pyramide, auf deren gekappter Spitze ein seitlich geschlitzter Granatapfel aus Bronze ruht – ein Symbol für den Genozid an den Armeniern – ist in armenischer, deutscher, türkischer und englischer Sprache, folgende Inschrift zu lesen:

»Dieser Schmerz betrifft uns alle

Während des 1. Weltkrieges – zwischen 1915 und 1918 – wurden in der
heutigen Türkei über eine Million armenische Frauen, Männer und Kinder
aus ihren Häusern vertrieben, deportiert und ermordet.

Das Osmanische Reich und die beteiligten deutschen Offiziere unter Führung
Kaiser Wilhelm II. tragen die Verantwortung für diesen Völkermord
an der armenischen Bevölkerung.

Nur eine entschiedene Ächtung der Entwürdigung von Minderheiten und die
Einsicht, dass es weder religiöse, nationale noch ethnische Überlegenheit
zwischen den Menschen gibt, kann solche Verbrechen verhindern.«

Zum Standort des Mahnmals

Das Mahnmal steht in unmittelbarer Nähe zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelm II. Dieser trägt als Staatsoberhaupt des deutschen Kaiserreichs erhebliche Mitverantwortung am Genozid an der armenischen Bevölkerung. Ihm, seinen Diplomaten und Offizieren, war von Beginn an klar, dass die osmanischen Verbündeten die Armenier vernichten werden.

Zum Geschehenen und der deutschen Beteiligung

Über eine Million armenische Kinder, Frauen und Männer aus dem Gebiet der heutigen Türkei wurden systematisch ermordet. Planvoll und mit brutaler Gewalt wurden sie aus ihren Häusern vertrieben, erschossen, erschlagen, Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt und alle, die nicht durch Arbeit umkamen, wurden auf Todesmärsche in die mesopotamische Wüste gezwungen und verhungerten und verdursteten auf den Gebieten des heutigen Syrien und des Irak. Der verantwortliche türkische Innenminister Talaat Pascha formulierte: »Das Ziel der Deportation ist das Nichts«. Dabei besetzten deutsche Militärs Schlüsselpositionen im militärischen Staatsapparat des osmanischen Reiches. 1913 waren fast 800 deutsche Offiziere in Istanbul zur militärischen Aufrüstung des Bündnispartners stationiert.

Colmar Freiherr von der Goltz, von dem Deportationspläne für die Armenier stammen, war seit 1883 als Militärberater im Osmanischen Reich im Rang eines türkischen Feldmarschalls tätig. Der deutsche Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim war einer der massivsten Befürworter des Genozides. General Fritz Bronsart von Schellendorf drängte als Chef des osmanischen Generalstabes die Türken energisch zur Deportation weiterer Minderheiten – darunter hunderttausende Aramäer/Assyrer und Pontosgriechen. Noch 1919 rechtfertigte er seinen Befehl und schrieb: »Der Armenier ist, wie der Jude, außerhalb seiner Heimat ein Parasit…« Daher käme auch »der Hass, der sich in mittelalterlicher Weise gegen sie als „unerwünschtes Volk“ entladen habe und zu ihrer Ermordung führte«.

Armenier wurden zehntausendfach zu Zwangsarbeiten gezwungen. Auch und gerade von der deutschen Industrie: So wurden sie beim Bau der Bagdad-Bahn, die unter deutscher Federführung stattfand, eingesetzt. Es wurden Zwangsarbeitslager für Armenier errichtet – die Arbeit endete für die meisten mit dem Tod. Die Deutsche Bank, die Philipp Holzmann AG, Krupp, Borsig und andere verdienten mit diesem Projekt ihr Geld. Nach ihrer Fertigstellung wurde die Bagdadbahn für die Deportationen der Armenier*innen eingesetzt. Der Transport in doppelbödigen Hammelwaggons musste von den Opfern selbst bezahlt werden.

Zur Anerkennung des Genozids durch den Deutschen Bundestag

Der Deutsche Bundestag hat am 2. Juni 2016 in einer Resolution anerkannt, dass der Deutsche Staat am Genozid an den Armeniern beteiligt gewesen ist. Der Bundespräsident hat von einer deutschen Mitschuld gesprochen, vermied aber eine juristisch klare Verantwortung. Nach der Verabschiedung der Resolution ist wenig geschehen, obwohl es in dem Resolutionstext heißt: »Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen finanzieller Möglichkeiten auch weiterhin innerhalb Deutschlands Initiativen und Projekte in Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Kultur zu fördern, die eine Auseinandersetzung mit den Geschehnissen von 1915/1916 zum Thema haben.«

Wir fühlen uns von dieser Aufforderung angesprochen und haben auch deshalb das Mahnmal errichtet.

Gedenken, öffentliche Diskussion und Verantwortung

Das Gedenken an den armenischen Genozid ist keinesfalls nur eine Angelegenheit der armenischen Gemeinschaft; eine besondere Verantwortung liegt auch bei den Nachfahren der deutschen und türkischen Tätergesellschaften. In der Türkei wird bedroht und verfolgt, wer von Völkermord spricht. Demonstrationen werden brutal zusammengeknüppelt, der armenische Journalist Hrant Dink wurde 2007 erschossen, die Hintermänner der Tat sind bis heute nicht einmal angeklagt.

Im Frühjahr 2017 haben 44 türkische Vereine und Verbände aus Köln und Umgebung einen Protest-Brief an die Stadt Köln geschickt. Sie wandten sich darin gegen einen »Gedenkstein zur Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich« auf dem Friedhof in Köln Brück, auf dem sich neben dem armenischen auch ein muslimisches Gräberfeld befindet, weil dadurch aus dem »Ort der Stille ein Ort des Streites und der politischen Auseinandersetzung« werden würde und dies ein »Verstoß gegen die Friedhofsordnung« sei.

Das von uns an diesem öffentlichen Ort an der Hohenzollernbrücke aufgestellte Mahnmal verstehen wir als wichtige Ergänzung zu den Initiativen der Armenischen Gemeinde Köln und dem inzwischen auf dem Friedhof aufgestellten Kreuzstein. Wir fühlen uns ausdrücklich mit der türkischen Zivilgesellschaft verbunden, die in ihrer Community und vom türkischen Staat eine Aufarbeitung des Genozids fordert und um Verständigung bemüht ist.

Wir wissen, dass das alleinige »Erinnern« künftige Katastrophen, Menschheitsverbrechen und Massengewalt nicht verhindern wird und leider kein Garant für ein friedliches Miteinander ist. Aber ohne die Erinnerung an das Geschehene verlieren wir unsere Menschlichkeit und die Wunden können nicht heilen. Die Opfer verdienen einen würdigen und sichtbaren Platz in der Geschichte und der Öffentlichkeit, aber auch die Täter müssen benannt werden und die Nachfolgestaaten ihrer historischen Verantwortung nachkommen.

Wir wünschen uns, dass das Mahnmal »Dieser Schmerz betrifft uns alle« zu einer intensiven und lebendigen Diskussion in unserer Stadt führt, als Mahnung gegen Rassismus und Nationalismus seine Wirkung entfaltet und zur Ächtung kolonialer Verbrechen und Genozide beiträgt. Wir haben das Mahnmal den Kölner Bürgerinnen und Bürgern, vertreten durch Sie, Frau Oberbürgermeisterin Reker und den Rat der Stadt Köln im April 2018, geschenkt. Wir bitten Sie, die nötigen Initiativen zu ergreifen, damit das Mahnmal am bezeichneten Ort aufgestellt wird. In Gesprächen im Sommer 2019 mit den Fraktionen der Grünen, der CDU, der SPD und der LINKEN wurde uns signalisiert fraktionsübergreifend dieses Anliegen zu unterstützen.

Mit freundlichen Grüßen

Maria Baumeister, Völkermord erinnern
Dogan Akhanli, Schriftsteller
Peter Finkelgrün, Schriftsteller
Israel Kaunatjike, Herero-Aktivist

Mitunterzeichner*innen

– Christa Aretz, FilmInitiativ Köln e.V.
– Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie
– Rolly Brings, Musiker und Texter
– Prof. Dr. Micha Brumlik, Publizist
– Prof. Dr. em. Wolf-Dietrich Bukow, Universität zu Köln
– Prof. Dr. Peter Busmann, Architekt Ma’alot
– Nuran David Calis, Autor und Regisseur
– Prof. Dr. Burak Çopur, Politikwissenschaftler und Türkeiforscher
– Gunter Demnig, Künstler (Stolpersteine)
– Çiler Fırtına, Übersetzerin
– Karnik Gregorian, Journalist und Regisseur
– Bernhard von Grünberg, SPD-Landtagsabgeordneter in NRW (2000–2005, 2010–2017)
– Mercedes Pascual Iglesias, Referentin für Antirassismus
– Prof. Dr. Lena Inowlocki, Soziologin
– Yilmaz Kahraman, Geschäftsführer Bund der Alevitischen Jugendlichen in NRW e.V.
– Stefan Kaiser, Bildhauer und Künstler des Mahnmals „Dieser Schmerz betrifft uns alle“
– Ulrich Klan, Vorsitzender Armin T. Wegner Gesellschaft
– Alfredo Klayman, Überlebender der NS-Verfolgung
– Dr.in Anne Klein, Universität zu Köln
– Prof. Dr. Dani Kranz, Anthropologin, Ben-Gurion-Universität des Negev, Israel
– Dr. habil. Katharina Kunter, Historikerin
– Dr. Hans Georg Link, eh. Ökumenebeauftragter der evangelischen Kirche in Köln
– Prof.in Dr.in Bettina Lösch, Universität zu Köln
– Dr. Gabriele Metzner, Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Wittenberg
– Pfarrer Franz Meurer, Kath. Kirchengemeinde St. Theodor & St. Elisabeth
– Pfarrer Hans Mörtter, Lutherkirche Südstadt Köln
– Prof. Dr. Martin Pätzold, MdB (2013-2017)
– Georg Restle, Leiter und Moderator des WDR-Politmagazins „​Monitor“
– Markus Rindt, Intendant der Dresdner Sinfoniker
– Karl Roessel, Journalist, FilmInitiativ Köln e.V.
– Müslüm Sakinc, Vorsitzender Alevitisches Kulturzentrum Köln-Porz e.V.
– Max Scholz, Bildhauer und Künstler des Mahnmals „Dieser Schmerz betrifft uns alle“
– Marc Sinan, Deutsch-Türkisch-Armenische Freundschaftsgesellschaft
– Prof.in Dr.in Susanne Spindler, Hochschule Düsseldorf
– Dr. Martin Stankowski, Publizist und Stadthistoriker
– Dr. Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Vorsitzender Verein EL-DE-Haus
– Günter Wallraff, Journalist und Autor
– Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit

– Alevitisches Kulturzentrum Köln-Porz e.V.
– Antifa AK Köln
– Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln (ACK)
– Armenische Gemeinde Köln e.V.
– Armin T. Wegner Gesellschaft
– Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland e.V. (​BDAJ)
– DFG-VK – Deutsche Friedensgesellschaft- Vereinigte Kriegsdienstgegnerinnen Köln
– Dialog-Kreis „Die Zeit ist reif für eine politisch Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden“
– Jugendclub Courage Köln e.V.
– Katholisches Bildungswerk Köln
– KAVOD e.V. – Freunde jüdischer Kultur
– Komitee für Grundrechte und Demokratie
– Kölner Frauengeschichtsverein e.V.
– Kölner Friedensforum – Arbeitskreis Zivilklausel Uni Köln
– KulturForum TürkeiDeutschland
– Lern- und Gedenkort Jawne
– Lutherkirche Südstadt Köln
– TÜDAY – Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland
– Verein EL-DE-Haus
– Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

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