Der Hohe Beirat des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan traf sich am Dienstag, um zu erörtern, wie die Leugnung des Genozids an den Armeniern vorangetrieben werden kann.
In dem fünfstündigen Treffen, welches hinter verschlossenen Türen stattfand, wurde der Völkermord von 1915 als „unbegründete und gegen die Türkei gerichtete Anschuldigung“ bezeichnet.
In einem anschließenden Statement von Fahrettin Altun, Kommunikationsdirektor von Erdogan, wurde die sogenannte „armenische Lobby“ beschuldigt, die „schmerzhafte Ära aller osmanischen Bürger für politische Berechnungen durch Lügen und Verleumdungen, die von verschiedenen Interessengruppen erfunden wurden“, ausgenutzt zu haben. Laut dem Statement wolle die Türkei „umfassende Schritte“ einleiten, um die Anerkennung des Genozids an den Armeniern zu verhindern.
An dem Treffen nahmen unter anderem auch İsmail Kahraman (ehemaliger Parlamentspräsident der Großen Nationalversammlung der Türkei), Cemil Çiçek (ehemaliger Justizminister) und die Rechtsanwälte Köksal Toptan und Yıldırım Akbulut teil.
Der Genozid an den Armeniern wird von der überwiegenden Mehrheit der internationalen Historiker als Völkermord eingestuft. Zuletzt geschah dies vom 1. bis zum 3. März 2015 auf einer Historikerkonferenz in Berlin, unter Teilnahme von 160 internationalen Historikern.
Die Türkei, als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs, leugnet allerdings bis heute, dass ein Völkermord, dem ebenfalls Hunderttausende Aramäer/Assyrer, Pontosgriechen und Jesiden zum Opfer fielen, stattgefunden hat. Dies liegt unter anderem daran, dass Verantwortliche des Völkermords an den Armeniern an der Gründung der Republik Türkei beteiligt waren. Auch war der Genozid eine Voraussetzung für die Gründung der heutigen türkischen Republik, so Islamwissenschaftler Rainer Hermann. Das konfiszierte Eigentum der Armenier, aber auch Griechen und Juden, stellte die wirtschaftliche Grundlage der türkischen Republik dar. Die Aneignung und Plünderung der armenischen aber auch griechischen und jüdischen Reichtümer fungierte zudem als Grundlage für die Schaffung einer neuen türkischen Bourgeoisie.
Der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli kommentierte die neue Leugnungskampagne der Türkei auf Twitter und sagte:
„Das zeigt, welche Bedeutung sowohl der Genozid von 1915 selbst als auch die Leugnung des Genozids für die Gründung bis heute spielt. Nur durch den Massenmord konnte der türkische Nationalstaat entstehen, nur durch die Verweigerung der Aufarbeitung kann dieser Staat bestehen bleiben. Die Anerkennung und Aufarbeitung des Genozids von 1915 würde auch bedeuten, dass die Vorstellung einer ethnisch homogenen Türkei ebenfalls fallen muss wie auch die fortwährende Diskriminierung der nicht-türkischen Bevölkerungsgruppen. Die türk. Regierung versucht dies zu vermeiden.“
Das zeigt,welche Bedeutung sowohl der Genozid von 1915 selbst als auch die Leugnung des Genozids für die Gründung bis heute spielt. Nur durch den Massenmord konnte der türkische Nationalstaat entstehen,nur durch die Verweigerung der Aufarbeitung kann dieser Staat bestehen bleiben
— Ismail Küpeli (@ismail_kupeli) June 16, 2020