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Koalitionsantrag zu Bergkarabach: Schwache Forderungen mit falschen Feststellungen

Foto: © DBT/photothek.net

Der deutsche Bundestag wird über den Antrag „Unterstützung der Entwicklung einer langfristigen Friedenslösung in Bergkarabach“ der Koalitionsfraktionen am 26. November entscheiden. Wir haben aufgelistet, wieso der Antrag falsch ist, wie er ergänzt werden müsste und warum der Bundestag den Antrag der CDU/CSU und SPD in seiner aktuellen Form nicht annehmen sollte.

1. In dem Koalitionsantrag ist die Rede von einem „erneuten Ausbruch des Konfliktes“. Dieses Wording ist leider nicht nur irreführend sondern auch verharmlosend, denn es suggeriert, dass dieser Konflikt „gelöst“ war und nun wieder „ausgebrochen“ sei. Das dies falsch ist, ist allgemein bekannt. Darüber hinaus suggeriert ein „erneuter Ausbruch“, dass es sich hierbei um ein zufälliges Ereignis handelte. Der Antrag der CDU/CSU und SPD lässt unerwähnt, dass es sich bei dem jüngsten „Kriegsausbruch“ um einen präzise geplanten Angriffskrieg Aserbaidschans auf Bergkarabach handelte. Diese Tatsache ist bei internationalen Beobachtern und Experten unstrittig. Eine Gleichstellung von Angegriffenen (Armenien/Bergkarabach) und Angreifer (Aserbaidschan mit Unterstützung der Türkei und jihadistischen Söldnern), wie von der Koalition impliziert, ist inakzeptabel und de-facto inkorrekt.

2. Der Koalitionsantrag besagt, dass die Türkei „selbst“ nicht „aktiv in den Konflikt“ eingegriffen habe. Auch dies ist schlicht falsch. So wurde etwa die Präsenz türkischer F-16 Kampfjets während des Angriffskrieges Aserbaidschans in der aserbaidschanischen Stadt Gandscha international durch Satellitenfotos nachgewiesen. Berichten zufolge waren die türkischen Kampfjets direkt in Kampfhandlungen involviert und schossen unter anderem einen armenischen Jet ab, wie die New York Times schrieb. Auch sollen 150 hochrangige türkische Offiziere die Militäroperationen Aserbaidschans geleitet haben (vgl. Tagesschau vom 4. Oktober 2020).

3. Mit dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD soll beschlossen werden, dass die Türkei syrische Söldner „mindestens geduldet“ habe. Dies ist eine eklatante Verharmlosung und Irreführung. Die Türkei hat syrische Söldner gezielt rekrutiert und nach Aserbaidschan entsendet. Dieses Ausmaß ist inzwischen international unumstritten. Experten der Vereinten Nationen haben am 11. November 2020 berichtet, dass „Aserbaidschan, mit der Unterstützung der Türkei, auf syrische Kämpfer angewiesen war, um die Militäroperationen in der Bergkarabach-Konfliktzone stützen und aufrechterhalten zu können.“ Auch SPIEGEL-Recherchen, neben zahlreichen anderen internationalen Bestätigungen, haben das gezielte Entsenden jihadistischer Söldner durch den türkischen Präsidenten Erdogan für den Angriffskrieg Aserbaidschans gegen Bergkarabach belegt.

4. In dem Koalitionsantrag heißt es, dass „durch die Kriegshandlungen (…) bereits viele jahrhundertealte Kulturgüter beider Religionen zerstört“ wurden. Dass jahrhundertealte Kulturgüter der christlichen Armenier durch Aserbaidschan beziehungsweise aserbaidschanische Soldaten zerstört wurden, sowohl aktuell als auch in der Vergangenheit, ist ebenfalls international bekannt, da die autokratische Aliyev-Regierung seit vielen Jahren eine gezielte Kampagne des kulturellen Genozids des armenischen Erbes durchführt (vgl. The Guardian). Zuletzt hat auch das weltweit bekannte Getty Museum auf die Zerstörung armenischer Kulturgüter am 19. November hingewiesen. Da der Koalitionsantrag suggeriert, dass neben den international belegten Zerstörungen armenischer Kulturgüter, auch umgekehrt „jahrhundertealte“ muslimisch-aserbaidschanische Kulturgüter zerstört worden seien, wäre es wichtig zu erfahren, auf welche zerstörten jahrhundertealten muslimisch-aserbaidschanischen Kulturgüter in Bergkarabach sich die CDU/CSU und SPD beziehen. Belege sollten dabei selbstverständlich ausdrücklich und ausschließlich auf Basis unabhängiger internationaler Berichte erfolgen.

5. In dem Koalitionsantrag findet keine Verurteilung von international belegten Kriegsverbrechen statt. So hat ein Experten-Team der Investigativplattform Bellingcat sowie des BBC etwa die Echtheit von Videos bestätigt, die eine Hinrichtung von armenischen Kriegsgefangenen durch Aserbaidschan in Hadrut zwischen dem 9. und 15. Oktober zeigen. Ein weiteres Video zeigt, wie einem armenischen Gefangenen, nach der armenisch-aserbaidschanisch-russischen Vereinbarung zum Waffenstillstand am 10. November, von aserbaidschanischen Soldaten die Ohren abgeschnitten werden. Der Kriegsreporter Neil Hauer berichtet zudem von einem Video, ebenfalls nach Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens aufgenommen, auf dem ein armenischer Kriegsgefangener von aserbaidschanischen Soldaten lebend enthauptet wird. Hauer stellt dabei parallelen zu Foltervideos des sogenannten IS (Daesh) fest.

6. Der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD thematisiert eine „Völkerrechtswidrigkeit“ auf Seiten der Armenier, lässt dabei aber auch hier erneut unerwähnt, dass die Bergkarabach-Armenier sich auf das im Völkerrecht hoch angesiedelte Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen (vgl. Artikel 1 der UN-Charta), wie sowohl Günther Bächler (bis 2018 Spezialgesandter im Südkaukasus für den OSZE-Vorsitz) als auch der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Otto Luchterhandt bestätigten. Auch lässt die Koalition unerwähnt, dass im Gegenteil, der Angriff Aserbaidschans und der Türkei als solches völkerrechtswidrig und strafbar war, wie der Politologe Herr Bächler konstatierte (vgl. NZZ).

Vor diesem Hintergrund spiegelt der Koalitionsantrag nicht die Tatsachen wieder, die aus den Regierungsfraktionen in der letzten Bundestagsdebatte am 29. Oktober 2020 zum Bergkarabach-Krieg festgestellt wurden.

In den Reden Ende Oktober der Abgeordneten aus den Fraktionen der Regierungskoalition ist der Aggressor des Angriffskrieges in Bergkarabach klar benannt worden. Und auch die aktive Rolle der Türkei in diesem Angriffskrieg wurde verurteilt. In dem aktuellen Antrag der CDU/CSU und SPD liest man von diesen Feststellungen nichts mehr, sodass der Antrag hinter diese Erkenntnisse zurückfällt.

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