Folgen Sie uns

Hallo, wonach suchen Sie?

Panorama

Der Völkermord an den Armeniern dauert immer noch an

Hundertausende Demonstranten marschieren vom Taksim-Platz in Istanbul zum Sitz der Wochenzeitung „Agos“, wo Hrant Dink vor sieben Jahren ermordet wurde. (Foto: AA)

Sieben Jahre sind bereits seit der Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink, ein hochgeschätzter und ehemaliger Herausgeber der armenischen Wochenzeitung „Agos“, vergangen. Dink wurde am 19. Januar 2007 am helllichten Tag vor seinem Verlagshaus von dem 17-jährigen türkischen Nationalisten Ogün Samast ermordet. Samast wurde zu 22 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt, doch der Versuch die wahren Hintermänner der Ermordung zu verurteilen wurde bislang verhindert.

Die türkische Zeitung Hürriyet berichtet, dass der Großteil der türkischen Beamten die in den Mord an Dink verwickelt waren von der Regierung befördert wurden. Sie seien jetzt Minister, Gouverneure oder Abgeordnete. In einem Interview mit Ayşe Günaysu, einer türkischen Reporterin der türkischen Tageszeitung „Özgür Gündem“ und seit 1995 Mitglied des Komitees gegen Rassismus und Diskriminierung des Menschenrechtsverein der Türkei (Istanbul-Zweig), sprach die armenische Zeitung „Hetq“ über Hrant Dink, seine Ermordung und Stellung in der türkischen Gesellschaft.

***

Ayşe, wann haben Sie das erste Mal von Hrant Dink gehört?
Wir wussten von ihm seit der ersten Ausgabe von Agos im Jahr 1996. Es war unsere Pflicht, alles über die nicht-muslimischen Gemeinschaften in der Türkei, ihre Probleme bezüglich Menschenrechtsverletzungen und ihre Geschichte aufmerksam verfolgen.
Haben Sie ihn jemals getroffen?
Ja. Als die Menschenrechtsorganisation „Komitee gegen Rassismus und Diskriminierung, Istanbuler Zweig“ (IHD) standen wir seit 1996 in engem Kontakt mit ihm. Unsere Ausstellung im Jahr 1997 mit dem Titel „Das Kinder-Camp von Tuzla, eine Geschichte der Beschlagnahme“, war ein Resultat unserer engen Zusammenarbeit mit Hrant Dink. Er war derjenige, der die Geschichte, die Fotos und das gesamte Material über das Camp besorgt hat.
Wer war Hrant Dink Ihrer Meinung nach innerhalb der türkischen Gesellschaft?
Hrant Dink war die Person, die in der Lage war, die Wahrnehmung der Armenier in den Augen eines großen Teils der türkischen Gesellschaft zu verändern. Er erreichte dies, indem er sich der Öffentlichkeit durch die Teilnahme an Podiumsdiskussionen und Interviews auf Mainstream- TV-Sendern zur Verfügung stellte. Selbst Menschen die nichts über die Armenier in der Türkei wussten lernten von ihm und liebten ihn, denn er war in der Lage sein Herz in einer aufrichtigen und geradlinigen Art und Weise sprechen zu lassen. Auf der anderen Seite bemühte er sich ein Gleichgewicht herzustellen während er seine Gedanken äußerte und das stets mit größter Vorsicht, die türkische Öffentlichkeit nicht zu verstimmen.
Er startete sogar eine Kampagne gegen die Parlamente jener Länder, die Entscheidungen zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern angenommen hatten. Hrant hatte das Gefühl dies tun zu müssen, um die türkische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass er keine Gefahr für die Türkei darstellte. Aber auch das hat ihn nicht retten können. Die Türkei ist ein Ort, an dem selbst ein so ausgewogener, vorsichtiger und manchmal kompromittierender Ansatz nicht geduldet wird. Trotz all seiner Bemühungen, die nationalen Gefühle des türkischen Volkes nicht zu beleidigen, wurde er ermordet. Das ist die Realität der Türkei. Die dunklen Kräfte die ihn getötet haben vermittelten die Nachricht, dass der uralte Zustand des staatlichen Denkens nicht zulassen würde, dass sich ein Armenier erhebt und spricht.
Warum denken Sie wurde er getötet?
Ich denke es liegt daran, dass der Völkermord nicht etwas ist was zwischen 1915 und 1923 passierte und nun fertig ist. Er dauert immer noch an, und zwar durch eine aggressive, geschmacklose und widerliche Verleugnung. Um die Leugnung aufrechtzuerhalten, mussten die Regierungen der Türkei die türkische Bevölkerung stets mit Nationalismus füttern. Natürlich fördert dies die ultra-nationalistischen Kreise die starke Verbindungen zum Staatsapparat und seinen Geheimdiensten genießen.
Wer befahl Ihrer Meinung nach tatsächlich den Mord?
Ich kann nur meine persönliche Meinung äußern, denn die wahren Hintergründe zum Mord werden weiterhin vertuscht. Wer oder was auch immer die treibende Kraft hinter seiner Ermordung darstellte war Teil des türkischen Staatsapparates, vor allem Geheimdienste und Spezialeinheiten sind zu nennen die wir als „Tiefer Staat“ bezeichnen.
Was hat sich nach dem Mord an Hrant Dink in der Türkei verändert?
Die Ermordung von Hrant Dink schaffte ein öffentliches Bewusstsein für die „armenische Frage“, wie der Völkermord in der Türkei bezeichnet wird. Viele Kreise, sogar die Linken, ignorierten was die Armenier in einem Leugner-Land und unter den Zuständen der Leugnung durchmachten. Nach dem Mord an Hrant Dink fingen sozialistische linke Kreise an sich für das, was die Menschenrechtsorganisation (IHD) bereits seit einem Jahrzehnt vor Hrant Dinks Tod tat, zu engagieren. Aber es macht mich wütend, dass hierfür erst Hrant Dink getötet werden musste. Auch erfuhren größere Teile der desinteressierten türkischen Gesellschaft, die sich in Politik überhaupt nicht einmischen, was die Armenier in der Türkei erleiden.
Nach seinem Tod prahlten viele türkische Demokraten mit den „Hunderttausenden“ die zu seiner Beerdigung marschierten. Das macht mich wütend. Wo waren diese Leute als er während seiner Prozesse und bei faschistischen Demonstrationen vor Agos belästigt wurde? Musste Hrant erst getötet werden damit diese „Hunderttausende“ anfangen sich für seine Ideale einzusetzen?

Lesen Sie auch:  Armenien unterzeichnet Rüstungsvertrag mit Frankreich
Werbung
Werbung
Werbung

Meistgelesen

Werbung

Weitere Themen

Politik

Frankreich hat sich verpflichtet, Präzisionswaffen an Armenien zu verkaufen und armenische Militäroffiziere auszubilden, erklärten die Verteidigungsminister der beiden Länder am Freitag, da Jerewan seine...

Bergkarabach

Die seit acht Monaten andauernde Blockade des Lachin-Korridors durch Aserbaidschan hat zu einer humanitären Krise geführt. Eine Gruppe türkischer Intellektueller ruft die internationale Gemeinschaft...

Meinung

Ein Offener Brief an Außenministerin Annalena Baerbock Sehr geehrte Frau Baerbock, seitdem Sie die verantwortungsvolle Aufgabe der Außenministerin für unser Land Deutschland inne haben,...

Politik

Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) des Rates der Europäischen Union hat den Vorschlag Kanadas gebilligt, das Land als einen Drittstaat in der Mission...