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Politik

Armenische Gemeinde in der Türkei: Der Staat gegen Bekdjian

Armenier auf der türkischen Insel Akdamar vor der Kirche zum Heiligen Kreuz (Foto: Umit Bektas/Reuters)

Nicht nur vermeintliche Regimegegner setzt der türkische Staat unter Druck, sondern auch religiöse Minderheiten. Nun wurde Karekin Bekdjian als Statthalter der armenischen Gemeinde abgesetzt, weil er den Genozid an seinem Volk kritisiert hatte. Diplomatisch besonders heikel: Er ist Deutscher.

Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 09/2018.
Ein deutscher Staatsbürger an der Spitze der armenischen Gemeinde der Türkei, und noch dazu einer, der offen vom Völkermord an den Armeniern spricht – wie lange kann das gut gehen? Zehn Monate lang hat Karekin Bekdjian als Statthalter des armenischen Patriarchen von Konstantinopel amtiert, doch nun intervenierte der türkische Staat und setzte ihn ab. Der langjährige armenische Erzbischof von Deutschland war im vergangenen Jahr von der Kirchenführung nach Istanbul berufen worden, um den schwer kranken Patriarchen Mesrob II. zu vertreten, und galt als aussichtsreicher Kandidat für dessen Nachfolge. Der türkischen Regierung war der deutsche Bischof aber unliebsam, weil er die Massaker an den Armeniern von 1915 offen als Völkermord bezeichnet, was in der Türkei noch immer tabu ist. Bekdjian verließ unmittelbar nach der Entscheidung die Türkei und kehrte nach Deutschland zurück.
Konkret bedeutet das: Eine offene Debatte über die Ereignisse von 1915 wird weiterhin blockiert, und die inneren Angelegenheiten der Gemeinde werden weiterhin vom Staat kontrolliert. Prinzipiell alle Glaubensgemeinschaften in der Türkei unterliegen dieser staatlichen Einmischung – der Islam durch das Religionsamt, die nichtmuslimischen Gemeinden durch einen komplizierten Rechtsstatus, der ihnen das eigenständige Handeln unmöglich macht. Die Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte sich bei ihrem Machtantritt vor 16 Jahren noch dafür eingesetzt, diese Kontrollen zu lockern, ist inzwischen aber davon abgerückt. Der Staat instrumentalisiert die Kontrollen weiterhin für eigene Zwecke. Davon betroffen sind nun auch die Armenier von Istanbul, die heute nur noch 60.000 Menschen zählen. Es sind die Nachkommen von vereinzelten Überlebenden der Vertreibung und der Massaker von 1915.
Einer von ihnen ist Karekin Bekdjian. Er kam 1942 in Istanbul zur Welt. Schon als Kind wurde mit der schmerzlichen Geschichte der Armenier konfrontiert: Die meisten Verwandten seiner Mutter waren bei den Massakern im Ersten Weltkrieg getötet worden. Sein Vater saß im berüchtigten Arbeitslager von Askale, weil er als Schuster nicht die Sondersteuer bezahlen konnte, die den nichtmuslimischen Minderheiten damals auferlegt wurde. Von den Istanbuler Pogromen gegen Griechen und Armenier von 1955 schockiert und von den antiarmenischen Parolen im Geschichtsunterricht am Gymnasium bestürzt, ging Bekdjian nach der Priesterweihe 1965 nach Deutschland und studierte dort.
Anschließend half er beim Aufbau der armenischen Gemeinden in Deutschland und Frankreich, nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an und wurde 1991 von der Armenischen Apostolischen Kirche zum Primas von Deutschland ernannt. Das Heimweh nach seiner Heimat am Bosporus habe ihn aber nie verlassen, erzählte Bekdjian einmal dem Schriftsteller Kemal Yalcin.
In Istanbul spielten sich inzwischen dramatische Ereignisse in der armenischen Gemeinde ab. Im Jahr 2007 wurde auf offener Straße der armenische Journalist Hrant Dink ermordet, der sich für eine türkische Anerkennung des Völkermords eingesetzt hatte. Ein Jahr darauf wurde bei dem damals erst 52 Jahre alten Patriarchen Mesrob II. eine frontotemporale Demenz diagnostiziert – eine Erkrankung der Hirnlappen, die den Patriarchen zum Pflegefall machte.

Völkermord an den Armeniern

Während des Ersten Weltkriegs verübten die Jungtürken zwischen 1915 und 1916 im Osmanischen Reich einen Völkermord an den christlichen Armeniern. Den Massakern fielen Tausende Menschen zum Opfer, darunter auch Aramäer und Assyrer. Wie viele starben, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die Schätzungen variieren zwischen 300.000 und 1,5 Millionen Toten. Als der Bundestag die Massentötung der Armenier im Sommer 2016 mit breiter Mehrheit als Völkermord einstufte, protestierte die Türkei heftig. Sie weist bis heute den Begriff des Völkermords im Zusammenhang mit den Massentötungen zurück. kna/MS

Weil das armenische Kirchenrecht den Fall eines amtsunfähigen Patriarchen nicht vorsieht, blieb die Gemeinde zwei Jahre lang ohne Führung. 2010 wählte der Kirchenrat schließlich einen Bischof aus seiner Mitte, Aram Atesyan, zum Stellvertreter des Patriarchen und amtierenden Kirchenoberhaupt. Seine Ernennung wurde von der türkischen Regierung bestätigt, wie das in der Türkei seit osmanischen Zeiten und bis heute gesetzlich erforderlich ist.

„Die Türkei verändert sich“

Innerhalb der gespaltenen armenischen Gemeinde der Türkei vertritt Atesyan den Flügel, der auf gute Beziehungen zum Staatsapparat setzt und jede Konfrontation mit den Behörden zu vermeiden sucht. Ein anderer Flügel der Gemeinde, der sich um die von Hrant Dink gegründete Zeitung „Agos“ gruppiert, fordert dagegen mehr Autonomie für die Gemeinde und ein Ende der staatlichen Bevormundung. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Flügeln erreichte 2016 einen Höhepunkt, als der Deutsche Bundestag eine Resolution zum Völkermord an den Armeniern verabschiedete. Atesyan schrieb damals einen Brief an Staatspräsident Erdoğan, in dem er sich im Namen der armenischen Gemeinde von der Resolution distanzierte und sie als antitürkisch verurteilte. „Agos“ kritisierte ihn darauf scharf als „Patriarchen-Vertreter des Präsidentenpalasts“.
Schließlich schaltete sich der Katholikos der Armenischen Apostolischen Kirche in den Streit ein – das weltweite Oberhaupt der Kirche, das in Etschmiadsin in Armenien ansässig ist. Unter seiner Vermittlung einigte sich die Gemeinde darauf, einen sogenannten „Degabah“ – Statthalter des Patriarchen – zu wählen, der wiederum Neuwahlen für das Patriarchenamt vorbereiten solle. Im März 2017 setzte der Kirchenrat deshalb Atesyan ab und wählte Bekdjian zum Statthalter des Patriarchen. Bekdjian zog von Köln an den Bosporus und machte sich an die Arbeit. Elf Kandidaten für das Patriarchenamt hat er seither unter den armenischen Bischöfen in aller Welt ausfindig gemacht, zu denen er auch selbst zählt: Den türkischen Vorschriften gemäß muss der Patriarch in Istanbul geboren sein.
Doch die Vorbereitungen für die Patriarchenwahl wurden jetzt durch ein amtliches Schreiben des Innenministeriums zunichte gemacht, das der Gouverneur von Istanbul dem Patriarchat überbrachte. Darin teilte die türkische Regierung den Armeniern mit, es gebe keinen Anlass zur Neuwahl des Patriarchen, solange dieser am Leben sei – und damit auch keine Notwendigkeit für einen „Degabah“. Den „sogenannten Statthalter“ Bekdjian erkenne Ankara nicht an; alle von ihm getroffenen Entscheidungen seien null und nichtig; die Regierung betrachte Atesyan als rechtmäßigen Vertreter des Patriarchen. Nach hastigen Krisentreffen in der armenischen Gemeinde obsiegte daraufhin der staatsnahe Flügel: Gegen den Staat könne nichts unternommen werden, erklärte der Kirchenrat und setzte Atesyan wieder ein.
Völlig überraschend kam die staatliche Intervention nicht. Behördenvertreter hatten den Armeniern schon seit Monaten über Vermittler ausrichten lassen, dass sie Bekdjian nicht akzeptieren würden, und dabei ausdrücklich auf seine öffentlichen Äußerungen zum Völkermord verwiesen. Bekdjian selbst sagte einmal, in seinen 40 Jahren in Europa habe er natürlich an vielen Gedenkveranstaltungen zum Völkermord teilgenommen und auch selbst Erklärungen dazu abgegeben. „Aber die Zeiten ändern sich, die Türkei verändert sich“, fügte er hinzu. Ein Umdenken hatte nach der Ermordung von Hrant Dink tatsächlich kurzzeitig eingesetzt, als Zehntausende Türken unter dem Slogan „Wir sind alle Armenier“ auf die Straße gingen und Intellektuelle eine Unterschriftenaktion zur Anerkennung des Völkermords starteten. Seither haben sich nationalistische Tendenzen in der Türkei wieder verstärkt. Der türkische „Verein zur Bekämpfung der haltlosen armenischen Behauptungen“ (Asim-Der) protestierte seit Monaten lautstark gegen Bekdjian. Der Verein, der im osttürkischen Igdir an der armenischen Grenze ansässig ist und die Nachkommen türkischer Opfer von armenischen Freischärlern im Ersten Weltkrieg vertritt, bezichtigte ihn der Verleumdung und Zusammenarbeit mit Deutschland gegen türkische Interessen. Das Innenministerium müsse gegen Bekdjian und seine Wahl zum Patriarchen einschreiten, forderte der Vorsitzende Göksel Gülbey, dessen Wunsch nun erfüllt wurde.
Bekdjian reiste nach seiner Abwahl durch den Kirchenrat sofort aus der Türkei aus und kehrte nach Deutschland zurück, wo er sich nach Angaben des Patriarchats nun zur Ruhe setzen will. In einem Abschiedsbrief an die Armenier von Istanbul äußerte er sich verbittert darüber, dass Teile der Gemeinde gegen ihn intrigiert und gemeinsame Sache mit den Behörden gemacht hätten. Die Armenier von Istanbul hätten in den letzten Jahrzehnten viel von ihrem Geschichtsbewusstsein und ihrem Kampfgeist verloren, schrieb er.
Einen neuen Patriarchen werde es wohl erst geben, wenn die türkische Regierung ihrem eigenen Kandidaten den Weg geebnet habe, kommentierte „Agos“ resigniert: „Wir müssen aber auch mit Bedauern einsehen, dass Teile der armenischen Gemeinde den Ansichten des Staates zu Diensten stehen.“

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