WikiLeaks hat ein geheimes Dokument veröffentlicht, welches enthüllt, dass es Bemühungen gab die Osmanischen Archive bezüglich belastender Beweise zum Völkermord an den Armeniern zu „reinigen“.
Das als „geheim“ klassifizierte Dokument „04ISTANBUL1074“ ist auf den 12. Juli 2004 datiert. Darin ist zu lesen, dass Professor Halil Berktay von der Sabanci Universität der Türkei, dem damaligen U.S. Generalkonsul in Istanbul, David Arnett, anvertraut hat, dass es zwei ernsthafte Versuche gab die türkischen Archive von belastenden Dokumenten zur „armenischen Frage“ zu „reinigen“.
Die erste „Reinigung“, so Berktay, fand im Jahre 1918 statt. Vermutlich bevor die Alliierten Kräfte Istanbul einnahmen. Berktay und andere deuten darauf hin, dass wichtige Dokumente aus den türkischen Archiven gestohlen wurden. Berktay sagt aus, dass es einen zweiten Versuch in Verbindung mit Halil Turgut Özal’s Bestrebungen einer Öffnung der türkischen Archive gab. Özal war von 1989-1993 Staatspräsident der Türkei. Dieser zweite Versuch wurde laut Berktay von pensionierten türkischen Diplomaten und Offizieren vollzogen, angeführt von dem damaligen Botschafter Muharrem Nuri Birgi. Berktay sagt weiter aus, dass zu der Zeit als er die Archive untersuchte, Nuri Birgi sich regelmäßig mit einem gemeinsamen Freund traf und bezüglich der Armenier reuevoll gestand: „Wir haben sie tatsächlich abgeschlachtet“.
Tony Greenwood, der Direktor des „American Research Institute“ der Türkei sagte aus, dass sehr wohl bekannt war, dass in der selben Zeit als er in den Archiven arbeitete, eine Gruppe von pensionierten Militär Offizieren privilegierten Zugang zu den Archiven hatte und Monate damit verbrachte die Dokumente durchzugehen. Ein weiterer türkischer Wissenschaftler berichtet, dass der fortlaufende Katalogisierungsprozess dafür benutzt wird die türkischen Archive von belastenden Beweisen zu „reinigen“.
Historikerkommission und die türkischen Archive
Im Jahre 2005 schlug der türkische Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan erstmals öffentlich die Einrichtung einer bilateralen Historikerkommission vor. Das Dokument „04ISTANBUL1074“ der Enthüllungsplattform WikiLeaks, welches von einer „Reinigung“ der türkischen Archive von belastenden Dokumenten zum Armeniergenozid berichtet, ist auf den 12. Juli 2004 datiert, somit kurz vor dem ersten öffentlichen Vorschlag von Erdogan zur Bildung solch einer Kommission und der Untersuchung der nationalen Archive.
Zu den türkischen Archiven schrieb der türkische Journalist, politische Kommentator und Schriftsteller Mehmet Ali Birand, ob die Amtsträger der Türkei begrenzt auf, oder zufrieden damit waren, nur türkische Archive für ihre Version der Geschichte zu benutzen, weil sie in diesen keine plausiblen Dokumente oder Beweise zum Völkermord an den Armeniern finden konnten. Beinahe zeitgleich mit dem Vorschlag der Türkei aus dem Jahre 2005 wurde kurze Zeit später jedoch die Historiker-Konferenz, die vom 25. bis 27. Mai 2005 in Istanbul stattfinden sollte, durch den türkischen Justizminister Cemil Cicek selbst unterbunden und die von der türkischen Regierungsmeinung abweichenden Positionen türkischer Wissenschaftler als „Dolchstoß in den Rücken der türkischen Nation“ diffamiert. Der Deutsche Bundestag betrachtete dies mit tiefer Sorge und schrieb in diesem Zusammenhang in einem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP:
Der Vorschlag von Ministerpräsident Erdogan, eine gemeinsame türkisch-armenische Historiker-Kommission einzurichten, kann nur dann Erfolg haben, wenn er auf der Basis eines freien und öffentlichen wissenschaftlichen Diskurses umgesetzt wird.
Jedoch wurde bereits am 9. Juli 2001 die „Turkish Armenian Reconciliation Commission, TARC“ (Übersetzt: Türkisch-armenische Versöhnungskommission) gegründet. Diese beauftragte das „International Center for Transitional Justice, ICTJ“ mit der Untersuchung der Anwendbarkeit der 1948 beschlossenen Genozidkonvention auf die Ereignisse von 1915. Am 4. Februar 2003 kam das ICTJ nach ausgiebigen Analysen zu dem Urteil, dass die Vernichtung der Armenier alle Straftatbestände der „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ erfüllt.
Armenischen Archive offen, türkische Historiker haben bereits darin gearbeitet
Auf die immer wiederkehrenden türkischen Vorwürfe, Armenien solle seine Archive öffnen, antwortete der Chef des „Armenian Genocide Museum“, Hayk Demoyan, dass die Archive in Armenien für jedermann, auch für türkische Funktionäre, zugänglich sind. Auch der Direktor des armenischen Nationalarchivs, Dr. Amatuni Virabyan, informierte im April diesen Jahres erneut, dass die Dokumente die im Nationalarchiv Armeniens lagern nicht nur für Staatsbürger Armeniens, sondern auch für Ausländer zugänglich sind. Er fügte hinzu, dass das Archiv bis zum Jahre 2015 drei mehrsprachige Bände mit Dokumenten veröffentlichen werde. In einem seltenen Interview mit der türkischen Tageszeitung „Hürriyet Daily News“ lud der Direktor des armenischen Nationalarchivs Virabyan türkische Historiker ein, in den Archiven zu recherchieren und bot ihnen Hilfe in jeder Hinsicht an. Weiter berichtet der Direktor:
Die Dokumente im Nationalarchiv der Türkei sind alle in osmanischer Sprache. Unsere Dokumente in Armenien hingegen, sind auf armenisch, russisch, englisch, deutsch und französisch erhältlich. Dies macht die Sache für Forscher einfacher.
Virabyan fügte hinzu, dass 12,000 Dokumente des Archivs zudem auf digitale Medien transferiert wurden und hunderte dieser Dokumente bereits Online zugänglich sind. Kemal Çiçek, ein Experte der „Turkish Historical Society“ sagte, dass türkische Historiker und Forscher bereits in den armenischen Archiven arbeiten, diese jedoch nur wenig Informationen zum Jahr 1915 enthalten, da die Republik Armenien zum Zeitpunkt des Völkermords noch gar nicht existierte. Der Historiker Ara Safarian schlägt vor in dem wichtigen türkischen Militärarchiv, welches jedoch nur für wenige ausgewählte Historiker zugänglich ist, Forschungen zu betreiben. Entscheidende Dokumente befinden sich zudem im Archiv des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reiches in Berlin.
Internationale Archive und Genozidforscher bestätigen einen Völkermord
Zahlreiche internationale Archive, unter anderem das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, die amerikanischen Nationalarchive, die Library of Congress der USA, sowie Archive in Frankreich, Dänemark, Schweden, Russland und Großbritannien belegen dokumentiert den Völkermord an den Armeniern. Der Völkermord an den Armeniern wird von der „Internationalen Vereinigung von Völkermordforschern“ (IAGS), dem „Permanenten Völkertribunal“ sowie von der überwiegenden Mehrheit der internationalen Geschichtswissenschaft als erwiesen angesehen und ist neben dem Holocaust der am häufigsten untersuchte Genozid weltweit. Am 9. Juni 2000 veröffentlichte die New York Times einen Artikel, in dem 126 internationale Genozidforscher bestätigten, dass es sich bei dem Völkermord an den Armeniern um eine unbestreitbare Tatsache handelt und forderten westliche Demokratien dazu auf, dies offiziell anzuerkennen.