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Ein Kunstprojekt versucht die Versöhnung von Türken, Armeniern und Kurden

Fotowand mit den Konterfeis von Überlebenden des Völkermords an den Armeniern (Bild: AP)
Sie verfolgen ein ambitioniertes Ziel: Mit ihrem Kunstprojekt „Frozen“ will eine Gruppe türkischer, armenischer und kurdischer Künstler gemeinsam die politische Eiszeit durchbrechen und den Grundstein legen für eine Neudefinition der Türkei als multikultureller Gesellschaft.

Ein Videointerview des türkischen Filmemachers Erhan Ariks, in dem eine alte Frau in Armenien über die Ermordung ihrer ganzen Familie während des Genozids erzählt, provozierte in der Türkei einen Skandal. Bis heute ist die Vertreibung und Ermordung von geschätzten eineinhalb Millionen christlichen Armeniern im Ersten Weltkrieg ein Tabuthema in der Türkei. Doch seit der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink, der nach einer Fernsehdebatte über den Genozid an den Armeniern von radikalen türkischen Nationalisten erschossen worden war, geht ein tiefer Riss durch die türkische Gesellschaft. In regelrechten Grabenkämpfen ringen gemäßigte und radikale Kräfte wie zu Zeiten der Staatsgründung um die Deutungshoheit über die Frage der nationalen Identität.

Wir wurden erzogen mit der Idee, die Türkei sei ein homogener Staat, der nur aus Türken und Muslimen besteht. Aber das ist nicht wahr. Die Wahrheit ist, es gibt viele verschiedene Identitäten und Religionen. Griechen, Juden, Armenier, Kurden, Araber, Assyrer. Das soll verdeckt und falsch dargestellt werden. Die andere große Lüge heißt, nicht wir taten den Armeniern etwas Schreckliches an, sondern die Armenier taten uns etwas an. Armenier lebten hier, bevor die Türken kamen. Aber einige radikale Nationalisten sagen, das Land gehörte immer den Türken.

„Wer und was ist türkisch?“ Das sei bis heute die zentrale Frage der offiziellen staatlichen Kulturpolitik in der Türkei, urteilt Erhan Arik. Mit ihrem Kunstprojekt „Eingefroren“ wollen nun armenische, türkische und kurdische Künstler gemeinsam den Grundstein legen für eine Neudefinition der Türkei als multikulturelle Gesellschaft. Die Künstler wollen eine Versöhnung zwischen Armeniern, Türken und Kurden erreichen, durch eine gemeinsame Aufarbeitung der Vergangenheit. Ozge Celikaslan hat die Kunstkampagne mit initiiert.

In der ganzen Kaukasusregion galt das Denkmal für Humanität in Kars als ein Symbol der Freundschaft. Ministerpräsident Erdogan ließ es zerstören, um die Ultranationalisten in der Region für sich zu gewinnen. Deshalb haben wir einen Künstleraustausch zwischen Armenien und der Türkei organisiert. Wir fragen: Wem gehört öffentliche Kunst? Wer darf ein Denkmal errichten und wer darf es wieder zerstören?

Mit ihren Performances, Straßenkunst- und Videoprojekten haben die Künstler Diskussionsprozesse in Gang gesetzt, die so vorher undenkbar waren. Ziel sei immer gewesen, erläutert die armenische Kulturmanagerin Armine Avetasjan, die lokalen Gemeinschaften in den Kunstprozess einzubeziehen.

Parish Sheityan und Serap Agbash, zwei kurdische Künstler aus Diyabakir, haben mit Studenten der armenischen Kunstakademie in Gyumri einen Malworkshop organisiert. Nach dem Kurs haben uns viele Armenier erzählt, wie viel Angst sie am Anfang hatten, mit Türken zusammenzuarbeiten. Nachdem die Ersten den Mut hatten teilzunehmen, kamen später viele ihrer Freunde dazu. Der Prozess war für alle so etwas wie ein Heilungsprozess.

Fast jede armenische Familie hatte bei der Vertreibung aus Ostanatolien im ersten Weltkrieg Tote zu beklagen. Dieses Trauma zu thematisieren, den damit verbundenen Schmerz verständlich zu machen, war ein zentrales Element vieler Kunstprojekte. Erhan Arik hat sich individuelle Familiengeschichten erzählen lassen und sie per Video aufgezeichnet. Am Anfang war es für den türkischen Fotographen schwer, das Vertrauen von Armeniern zu gewinnen. Schließlich konnte der 28-Jährige einige Familien dazu bewegen, ihm ihre privaten Fotoalben zu zeigen.

Ein Familienalbum ist die einfachste Art, wie Erinnerungen einer Gesellschaft überliefert werden. Ein Foto zeigt ein kleines Mädchen, dessen Vater im Zweiten Weltkrieg in der Sowjetarmee kämpfte. Auf einem anderen Foto ist eine Frau zu sehen, die während des Erdbebens in Gyumri ihren Ehemann verloren hat. Nach dem Erdbeben fiel der Familie auf, dass sie nie ein Familienfoto gemacht hatten. Die Kinder erzählten mir, ohne Foto werden wir irgendwann die Erinnerung verlieren. Aus dieser Erfahrung habe ich gelernt, dass ein Foto und der Tod sehr eng verbunden sind.

Viele Armenier, die erst nichts mit Türken wie ihm zu tun haben wollten, waren später ganz begeistert vom dem Projekt, erzählt Arik. Diese ersten persönlichen Beziehungen zu schaffen, sei der größte Erfolg des Kunstprojekts.

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Quelle: Deutschlandradio
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