VENEDIG. – Die armenische Zivilisation ist eines der ältesten überlebenden im Nahen Osten. Der Großteil seiner Geschichte war Armenien jedoch eine Nation ohne Land. Dies machte das gesprochene und geschriebene Wort zu dem wichtigsten Mittel durch das die armenische Identität, mit einer großen Bedeutung in der Kultur des Volkes, erhalten geblieben ist.
Dies wirkte sich im Laufe der Jahrhunderte fördernd auf Bücher und ihre Produktion aus. Schriftgelehrte erstellten Hinweise für die ordentliche Pflege und Erhaltung der Bücher und gaben Tipps zum Verstecken dieser in gefährlichen Zeiten. Auch Hinweise um sie mit Lösegelder zu retten, sollten sie in falsche Hände geraten, wurden erteilt. Ein gegen Ende des 19. Jahrhunderts englischer Reisender beobachtete, dass die Armenier ihre Druckmaschine die selbe Zuneigung und Verehrung entgegenbrachten wie persische Hochlandbewohner ihrem Gewehr.
Im Jahre 1512, das genaue Datum ist unklar, wurde das erste armenische Buch in Venedig gedruckt. Dieses Ereignis war von besonderer Bedeutung für diese verstreute Nation, welche bis 1918, und auch dann nur in kleinen Teilen ihres angestammten Landes, kein modernes Heimatland erlangt hatte.
Das Jahr 2012, der 500. Jahrestag des ersten armenischen Buches, ist Anlass einer beeindruckenden Ausstellung in Venedig namens »Armenia: Imprints of a Civilization« (»Armenien: Spuren einer Zivilisation«) organisiert von Gabriella Ulluhogian, Boghos Levon Zekiyan und Vartan Karapetian mit mehr als 200 Arbeiten die über 1000 Jahre alte armenische Schriftkultur präsentieren. Diese Werke umfassen Inschriften, ausgeleuchtete Manuskripte sowie illustrierte Bücher, darunter einzigartige und seltene Stücke aus Armenien und Europa. Jerewan, die Hauptstadt Armeniens, ist die diesjährige UNESCO Welthauptstadt des Buches.
Die Ausstellung in Venedig wird mit dem atmosphärischen Gemälde »The Descent of Noah From Mount Ararat« (1889) des armenischen Künstlers Ivan Aivazovski aus der Nationalgallerie in Jerewan eröffnet. Es zeigt den alttestamentarischen Patriarchen der seine Familie und eine Herde von Tieren über die von der abklingenden Flut noch wässrige Ebene führt, um die Erde wieder zu bevölkern.
Das Christentum erreichte Armenien bereits im ersten oder frühen zweiten Jahrhundert. Armenien gilt heute als das erste Land der Welt, welches das Christentum als Staatsreligion anerkannt hat – irgendwann zwischen den Jahren 293 und 314 n. Chr. Traditionell nennt die armenische Kirche das Jahr 301.
Im Jahre 403, folgte eine Initiative welche den Eckpfeiler der Beständigkeit der armenischen Volksgruppe darstellt – die Erfindung eines unverwechselbaren Alphabets durch den heiligen Mesrop Mashtoz, geeignet, das komplexe phonetische System der armenischen Sprache exakt wiederzugeben. Dies ermöglichte die Übersetzung der Bibel, welche bis 433 angefertigt wurde, und die Gründung der armenischen Literatur in all ihren Erscheinungsformen, geistlich und weltlich.
Der Wunsch das Evangelium und andere christliche Texte zu illustrieren war der primäre Impuls für die Entwicklung der armenischen Kunst, welche auf Grund der Lage des Landes an der Kreuzung mehrerer Zivilisationen, auf ein ungewöhnlich breites Spektrum an Quellen zugriff.
Der Höhepunkt der armenischen Miniatur wurde im 13. Jahrhundert erreicht, während des armenischen Königreiches von Kilikien, welches über einen wesentlichen Teil von Kleinasien (1198-1375) regierte, bis es von den ägyptischen Mamelucken gestürzt wurde.
Das erste armenische Buch 1512 in Venedig gedruckt
Armenische Kontakte zu Venedig datieren auf den Zeitraum, als die entstehende Lagune Republik ein weit entfernter westlicher Vorposten von Byzanz war, wo Armenier leitende Positionen in der Verwaltung und dem Militär hielten. Die Kontakte wurden während des Königreichs von Kilikien häufiger, als venezianische Kaufleute ihre Aktivitäten in der Levante erweiterten und ihre armenischen Amtskollegen Möglichkeiten in Europa suchten.
Im Jahr 1235 hinterließ der venezianische Adlige Marco Ziani der armenischen Gemeinde ein Haus in San Zulian, in der Nähe der Piazza San Marco. Das Haus wurde »Casa Armena« genannt und bot eine Anlaufstelle für Venedigs immer zahlreicher werdenden armenischen Bewohner und Besucher.
Die bis zum 10. April 2012 anlaufende Ausstellung »Armenia: Imprints of a Civilization« zeigt ebenfalls ein kostbares Exemplar des ersten gedruckten armenischen Buches. Der Gründer des armenischen Buchdrucks war der Priester Yakop Meghparts, der das erste armenische Buch, ein Gebetbuch (»Urbatagirk«), im Jahre 1512 in Venedig gedruckt hat. Diese Innovation führte zur Gründung einer ganzen Reihe von Druckpressen auf der ganzen Welt. Armenien war damit unter den ersten Staaten, die Gutenbergs revolutionäre Technologie nutzten.
Die Insel »San Lazzaro degli Armeni« in Venedig
Venedig stieg weiter durch die Ankunft von Abt Mechitar und seinen Mönchen in der Lagune im Jahr 1715, als ein globales Zentrum der armenischen Kultur an. Dieser Visionär wurde in Sivas (historisch Sebastia) in Anatolien geboren und verbrachte Zeit in Etschmiadsin und Istanbul. Später führte er die Gemeinschaft die er geschaffen hatte in die kleine Hafenstadt Methoni auf der griechischen Halbinsel Peloponnes, welche von den Venezianern in den 1680er Jahren erobert wurde. Aber die Wahrscheinlichkeit der Rückeroberung der Stadt durch die Osmanen, führte zu Mechitars Entscheidung Zuflucht in Venedig zu suchen. Im Jahr 1717 wurde ihm und seinen Gefolgen ein Mietvertrag für die Insel San Lazzaro (in der Lagune von Venedig) gewährt, welches seither mit einem Kloster den Hauptsitz des Mechitaristenordens darstellt. Eine Volkszählung von 2001 wies 22 ständige Bewohner auf der Insel nach.
Unter Mechitar, wurde San Lazzaro das Epizentrum einer weltweiten armenischen kulturellen Wiederbelebung. Die Gemeinde schuf ein Studienzentrum mit Bibliothek, war verantwortlich für den Druck einer Menge von Büchern in Venedig und anderswo und gründete ein internationales Netzwerk an Schulen, in denen ein hoher Anteil der religiösen und säkularen Elite Armeniens bis in die moderne Zeit eine Ausbildung erhielt. Die Insel ist heute eines der bedeutendsten Zentren der armenischen Kultur weltweit.
Die armenische Akademie von San Lazzaro hat »Bazmavep« veröffentlicht, eine von Gabriel Aivazovsky (Ivan Aivazovskis Bruder) gegründete literarische, historische und wissenschaftliche Zeitschrift seit 1843. Sie ist eines der ältesten fortdauernden Zeitschriften dieser Art. Die erste armenische Zeitung war »Azdara« (Der Monitor), gegründet in Madras im Jahre 1794.
San Lazzaros berühmtester ausländischer Student war der britische Dichter Lord Byron, der dort die armenische Sprache mit dem Gelehrten Harutiun Avgerian gelernt hat. Mit ihm zusammen arbeitete er an der Produktion einer armenischen und englischen Grammatik.