Nach Ihrem Besuch in Armenien, fühlte die aus Istanbul stammende Armenierin Janet Petrosoglu den Konflikt mit Ihrer nationalen Identität noch stärker als zuvor, entgegen Ihrer Erwartung, dass der Besuch Ihr eigentlich helfen sollte.
»In Armenien fühlte ich, dass ich mit einer inneren Spaltung leben würde. Die Türkei-Armenier werden hier mit Türken identifiziert. Wir haben mit mehreren Sachen zu kämpfen und zu leben. In der Türkei werden wir nicht als richtige Bürger behandelt, da wir Armenier sind; in Armenien werden wir nicht als richtige Armenier behandelt, da wir Staatsbürger der Türkei sind; und wir werden von der Diaspora gezüchtigt, da wir das Thema des Genozids an den Armeniern in der Türkei nicht laut zum Ausdruck bringen.« sagt Sie.
»Niemand versteht uns« sagt die 28-jährige Janet, mit einem gemischten Gefühl aus Zorn und schaut zum Berg Ararat. »Ihr seid glücklich, ihr habt den Ararat« sagt Sie und lächelt, als ihr der Widerspruch in Ihrem Statement bewusst wird, da der heilige Berg Ararat nun auf türkischem Boden ist.
Viele Türkei-Armenier leben mit einem Schmerz, verursacht durch ihre schwierige Identität und das Fehlen des Verständnisses für ihre Motive und Lebensweise. Zu schweigen, war oft ein Mittel um zu überleben und Hrant Dink, der 2007 vor seinem Büro in Istanbul ermordet wurde, brach dieses Schweigen und bezahlte dafür mit seinem Leben. Auch Dink litt unter dieser Spaltung – von den Türken wurde er als Verräter bezeichnet und als Spion von der Diaspora.
Die Mehrheit der rund 50.000 Türkei-Armenier lebt derzeit in Istanbul. Es gibt zudem islamisierte Armenier (schätzungsweise 200.000) die in verschiedenen Teilen des Landes leben. In Armenien lebende Spezialisten für Turkologie (Türkeiwissenschaften) präsentierten diese Zahlen anhand von Archivmaterial, nach denen einige 100.000 armenische Frauen und Kinder im Jahre 1915 zwangsislamisiert wurden und die ungefähre Anzahl ihrer Nachkommen daraus resultierend heute in etwa 200.000 beträgt.
»Die Armenier sind die größte und bislang am meisten ignorierte christliche Minderheit in der Türkei« sagt Özge Genç, Programmleiterin an der »Turkish Economic and Social Studies Foundation (TESEV)« und bereut, dass das große Potential der Armenier verschwendet wird.
»Das Hauptproblem der Armenier bleibt, dass sie nicht als richtige Bürger der Türkei anerkannt werden. Die Armenier werden mit weitaus mehr Misstrauen behandelt als die anderen christlichen Minderheiten hier« sagt Özge Genç.
Viele Mitglieder der ängstlichen und achtsamen armenischen Gemeinschaft haben immer noch türkische Nachnamen und selbst jetzt, wo sie zugeben, dass sie es unterlassen in der Öffentlichkeit armenisch zu sprechen, haben sie nie ihre Probleme klar geäußert. »Vor kurzem hörte ich einige armenische Wörter an einer Istanbuler U-Bahn Station. Überrascht drehte ich mich um und sah, dass es aus Armenien stammende Armenier waren. Erst da traf mich das volle Ausmaß der Furcht unter der wir so viele Jahre gelebt haben, Angst davor armenisch in der Öffentlichkeit zu sprechen, sogar Angst davor in der Kirche armenisch zu sprechen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir diese Angst jemals vollständig überwinden werden können.« sagt Janet Petrosoglu.
Die Angst wurde letztendlich zu einer Gewohnheit und der Istanbul-Armenier Arus Yumul, renommierter Soziologe aus der Bilgi Universität in Istanbul, sagt »die Sprache wurde nur symbolisch wichtig; sie wird nicht genutzt aber als Schatz erhalten.« Sogar die Predigt, die auf den Gottesdienst in den etwa 36 Kirchen in Istanbul folgt, wird auf türkisch gehalten, so dass es für jeden verständlich ist. Viele verbergen die Tatsache, dass sie auf türkisch beten nicht und begründen es damit, dass es ihre Alltagssprache ist.
Dies ist eine fast unmöglich zu überwindende Kontroverse für die Türkei-Armenier. Sie beten in der Sprache derer, die sie dafür massakriert haben zu dem Gott zu beten zu dem sie heute täglich beten. In der Tat, eine Ironie des Schicksals.
Streitigkeiten gibt es massenhaft, aber der größte Kritikpunkt gegen die Türkei-Armenier ist auf Ihr Schweigen und in einigen Fällen sogar leicht leugnende Haltung was das Thema des Völkermords an den Armeniern betrifft, zurückzuführen.
»Das Schweigen der Türkei-Armenier ist oft inakzeptabel für die in Armenien lebenden Armenier, doch dies ist seit Jahren unsere Überlebensstrategie« sagt Arus Yumul. »Diese Situation ist sehr hart für uns. Für die Diaspora-Armenier sind wir wie ein verlorenes Schaf; wir sind Fremde zu Hause und auch außerhalb.«
Das Schweigen als Überlebensstrategie hörte jedoch in den 1990er Jahren auf und die Ermordung von Hrant Dink führte schließlich zum größten Durchbruch. »Es ist, als hätte der Tot von Hrant Dink alle aufgeweckt, sie erneut an ihre Identität erinnert und ihre Angst Armenier zu sein verschwinden lassen« berichtet Yumul.
Doch viele Istanbul-Armenier betonen, dass es noch ein langer Weg sei, bis sie die unversöhnliche Tatsache ein armenischer Staatsbürger der Türkei zu sein, in Einklang bringen können.
Vor einem Jahr, während seines Treffens mit der Diaspora, sagte der armenische Präsident Serzh Sargsyan »ein guter Armenier ist ein guter Staatsbürger des jeweiligen Landes in dem er wohnt«.
»Es war ein wirkliches Rätsel für uns, da wir diese Kriterien nie erfüllen können« sagt Janet halb scherzend und fügt hinzu: »Wenn wir gute Staatsbürger der Türkei sind, sind wir schlechte für die Diaspora und wenn wir versuchen gute Armenier zu sein, können wir keine guten Staatsbürger der Türkei sein.«