Der Genozid an den Armeniern in der Türkei jährt sich im April zum 100. Mal. Nun hat Präsident Erdoğan erklärt, dass sich sein Land einem Urteil von Historikern in der Völkermord-Frage unterwerfen wird.
Die Historikerkommission solle die Frage klären, ob es sich bei den Massenvertreibungen der 1,5 Millionen Armenier, aber auch Hunderttausender Aramäer/Assyrer und Pontosgriechen im Osmanischen Reich im Jahr 1915, um einen Völkermord handelte.
Die überwiegende Mehrheit der internationalen Forscher sowie dutzende Länder sprechen von einem Genozid. Dieser Genozid ist neben dem Holocaust der am meist untersuchte Völkermord weltweit. Von der Türkei wird diese Klassifizierung jedoch kategorisch zurückgewiesen.
Erdogans wiederkehrende Aufforderung der Errichtung einer Historikerkommission und die Aussage, dass Armenien nicht bereit sei sich dieser Diskussion zu stellen, ist eine Farce.
Türkei sagte Historikerkommission selbst ab
Der Vorschlag der Bildung einer unabhängigen Historikerkommission, zur Beurteilung der Ereignisse von 1915, so als seien diese noch nicht hinreichend genug erforscht worden, ist bereits seit vielen Jahren fester Bestandteil der Leugnungsstrategie der Türkei.
Im Jahre 2005 schlug Recep Tayyip Erdogan erstmals öffentlich die Errichtung einer bilateralen Historikerkommission vor. Diese Konferenz, die vom 25. bis 27. Mai 2005 in Istanbul stattfinden sollte, wurde jedoch durch den türkischen Justizminister Cemil Cicek selbst unterbunden und die von der türkischen Regierungsmeinung abweichenden Positionen türkischer Wissenschaftler als „Dolchstoß in den Rücken der türkischen Nation“ diffamiert. Der Deutsche Bundestag betrachtete dies mit tiefer Sorge und schrieb in diesem Zusammenhang in einem Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP:
Der Vorschlag von Ministerpräsident Erdogan, eine gemeinsame türkisch-armenische Historiker-Kommission einzurichten, kann nur dann Erfolg haben, wenn er auf der Basis eines freien und öffentlichen wissenschaftlichen Diskurses umgesetzt wird.
Armenien ist bereit
Aus dem Wikileaks-Dokument 05YEREVAN769, datiert auf den 28. April 2005, geht hervor, dass die Beschuldigung Erdogans, Armenien sei nicht bereit sich einer Kommission zu stellen, unwahr ist.
Am 25. April 2005 schrieb der ehemalige Präsident Armeniens, Robert Kocharian, in einem Brief an Erdogan:
Es liegt in der Verantwortung von Regierungen bilaterale Beziehungen herzustellen und wir haben nicht das Recht, diese Verantwortung allein Historikern aufzuerlegen. Deshalb haben wir vorgeschlagen, und werden dies auch weiterhin tun, dass wir, ohne Vorbedingungen, normale Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern herstellen sollten.
In diesem Zusammenhang kann eine intergouvernementale Kommission errichtet werden, um alle noch offenen Fragen zwischen unseren beiden Nationen zu besprechen, mit dem Ziel, diese zu lösen und zu einer Verständigung zu gelangen.
Dennoch wird seitens der Türkei weiterhin propagiert, dass Armenien, entgegen jeglicher Faktenlage, an einer Lösung des Problems mittels einer Kommission nicht bereit sei.
Historiker-Urteil bereits vorhanden: Es war ein Genozid
Wenn sich die Türkei, gemäß der kürzlich getätigten Aussage von Präsident Erodgan, tatsächlich einem Historiker-Urteil unterwerfen würde, so müsste sie dies mit sofortiger Wirkung tun.
Der Völkermord an den Armeniern wird von der „Internationalen Vereinigung von Völkermordforschern“ (IAGS), dem „Permanenten Völkertribunal“ sowie von der überwiegenden Mehrheit der internationalen Geschichtswissenschaft bereits seit vielen Jahren als erwiesen angesehen.
Am 9. Juni 2000 veröffentlichte zudem die New York Times einen Artikel, in dem 126 internationale Genozidforscher bestätigten, dass es sich bei dem Völkermord an den Armeniern um eine unbestreitbare Tatsache handelt und forderten westliche Demokratien dazu auf, dies offiziell anzuerkennen.
Türkisch-Armenische Kommission bereits 2001 errichtet
Bereits am 9. Juli 2001 wurde die „Turkish Armenian Reconciliation Commission, TARC“ (Übersetzt: Türkisch-armenische Versöhnungskommission) gegründet. Diese beauftragte das „International Center for Transitional Justice, ICTJ“ mit der Untersuchung der Anwendbarkeit der 1948 beschlossenen Genozidkonvention auf die Ereignisse von 1915. Am 4. Februar 2003 kam das ICTJ nach ausgiebigen Analysen zu folgendem Urteil:
Den Verantwortlichen dieser Ereignisse war die Konsequenz bewusst, dass ihr Handeln die vollständige oder partielle Vernichtung der Armenier von Ostanatolien bedeuten würde (…) und setzt daher eine genozidale Absicht voraus. (…) Es kann festgehalten werden, dass diese Ereignisse, als Ganzes betrachtet, alle Straftatbestände der „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ erfüllen.
Nach Veröffentlichung dieses Ergebnisses löste sich die TARC auf, da den ehemaligen türkischen Botschaftern sowie Diplomaten, die mit Einwilligung Ankaras dem Gremium beigetreten waren, diese Situation „zu heiß“ wurde.
In all diesen Fällen handelt es sich um ein eindeutiges Historiker-Urteil, bei dem die Untersuchung der Aktenlage verschiedener internationaler Archive zu den Ereignissen von 1915, Historiker weltweit zu dem Urteil kommen ließ, dass die Klassifizierung als „Genozid“ zutreffend ist.
Die eine Frage bleibt nun offen: Wann kommt die von Erdogan angekündigte Unterwerfung?