Gastbeitrag von Dave Büttler
Areg Balayan ist Armenier und in seiner Heimat ein bekannter Fotograf und Künstler. Er stammt aus dem kriegsversehrten Karabach. Trotz der grausamen Kriegsszenerie sind seine Werke ohne Hass, sondern vermitteln Poesie und Sanftmut.
Armenien ist das älteste christliche Land der Erde. Einige Interpretationen lokalisieren das Paradies von Adam und Eva in Armenien. Karabach ist eine wasserreiche und fruchtbare Gegend, auch heute noch ein Naturparadies für unsere bedrohten Zugvögel. Diese stoppen ihre Reise allerdings klüger bereits in Armenien, da der Nachbar Aserbaidschan gemäss der Vogelschutzorganisation Birdlife die Rangliste der Vogelwilderer anführt. So wie daher «Friedenstauben» durch den Abschuss gefährdet sind, ist auch für Armenier die Nähe zu Aserbaidschan lebensgefährlich. Auch nach Kriegsende erklingen von dort prominent Schlachtrufe, dass der Krieg noch bis nach Jerewan getragen werde.
Die Bezeichnung «Bergkarabach» ist in Armenien unüblich und stammt aus Aserbaidschan. Die Armenier nennen ihr jahrtausendealtes Heimatland stattdessen Arzach. Im vernichtenden Karabachkrieg 2020 verlor Armenien gigantische Teile davon.
Alarmierend ist, dass alles darauf hindeutet, dass die Siegermächte Aserbaidschan und Türkei ihren seit einem Jahrhundert andauernden, kulturellen Ethnozid weiterführen und die einzigartigen Spuren armenisch-christlicher Kultur in den eroberten Gebieten tilgen, darunter auch Weltkulturerbstätten, die bis in die Antike zurück reichen.
Areg ist 40 Jahre alt und lebt mit seiner Familie (Tochter 12 J., Sohn 8 J.), in Stepanakert (Karabach) und Jerewan (Hauptstadt von Armenien). Bei den kurzen, aber schweren Kriegsangriffen im Jahr 2016, mit über 100 Kriegstoten auf armenischer Seite, stand er als Soldat an der Front. Nach Tagen im Schützengraben erkannte er seinen Gesichtsausdruck auf seinen notdürftig geschossenen Selbstporträts nach eigenen Aussagen nicht wieder. Beim diesmaligen, apokalyptischen Kriegsangriff, der vom 27. September bis am 9. November dauerte, war Areg offiziell als Fotograf an der Kriegslinie im Einsatz. Seine Frau floh mit den Kindern nach Jerewan, doch seine betagten Eltern harrten den täglichen Bombenhagel in Stepanakert aus und überlebten diesen glücklicherweise unbeschadet.
„Ich gebe dem Feind keine Schuld“
Aregs Reflektionen zum Krieg: «Während dem Krieg waren die Menschen in akuter Lebensgefahr, doch von glühender Hoffnung angetrieben. Mit dem Kriegsende hat sich die Gefahr vorübergehend entfernt. Die Leute versuchen zum täglichen Leben zurückzukehren, doch eine lähmende Hoffnungslosigkeit erdrückt das Land. Das Ausmass unseres Verlustes ist unerträglich. Die Menschen befinden sich weiterhin in einer höchst unsicheren Situation. Die Strassen zwischen den Städten sind immer noch gefährlich.
In der Nachkriegszeit Motivation zu finden, ist schier unmöglich – dennoch schaffen es viele. Die Liebe zum Mutterland, die Fortsetzung der Arbeit aller, die nicht mehr unter uns weilen, die Schaffung eines neuen Lebens(t)raumes für Kinder und ein tiefes Verantwortungsgefühl nähren den Lebenswillen und die Lebenslust.
Ich gebe dem Feind keine Schuld: Er tat das, worauf er vorbereitet wurde. Doch ich bin zornig über jenes, was wir unterlassen oder falsch gemacht hatten. Meine Hoffnung ist, dass wir nun klüger und aufmerksamer werden, um jeden Tag im Bewusstsein der Probleme und Gefahren zu leben. Solange ich am Leben bin, kann ich über das Wunder des Lebens nur staunen. Hass schafft niemals etwas anderes als Tragödien. Weshalb also sollten wir hassen?
Die Kirche war in diesen schwersten Wochen mit einer tragenden Rolle präsent. Ich bezeuge, dass viele Priester und Kirchendiener die Soldaten an die Front begleiteten und bei ihnen blieben. Sie erfüllten ihr Amt wahrhaftig. Die Kirchen wurden zu einem Zufluchtsort für die Menschen und spendeten Verpflegung und Nachtruhe. Mehrmals täglich wurden Gebete gelesen und es wurde die Messe zelebriert. Die Menschen kamen und fanden Frieden.»
Artikel im Original erschienen in der Erstausgabe vom Magazin Kathy. Dave Büttler arbeitet als Katechet für die katholische Kirchgemeinde Horw im Schweizer Kanton Luzern. Im Zusammenhang mit einem kirchlichen Hilfsprojekt für die armenische Diözese Tavush erstellte er in privater Initiative die Webseite www.kirche-hilft-armenien.ch.