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Meinung

Türkische Veranstaltung zum Völkermord an den Armeniern in der Hamburger Universität

Guillaume-Albert Houriet

Der Schweizer Guillaume-Albert Houriet, ehemaliger Großrat von Bern

Die Veranstaltung an der Hamburger Universität fand am 18. April ohne Prof. Norman Stone statt. Aus „Krankheitsgründen“ hatte er abgesagt.

Statt seiner referierte vor etwa 150 Personen der Schweizer Guillaume-Albert Houriet, ehemaliger Großrat von Bern, der Ende 2005 in der Türkei wie ein Popstar gefeiert wurde, weil er sich für sein Land entschuldigt hatte – Wissenschaftsfern und türkeinah (vor allem zu Dogu Perincek und seiner Leugnungspartei „Isci Partisi“ bestehen lange und enge Verbindungen).

Der Auftritt an der Berliner Humboldt-Universität (HU), ob durch Houriet oder Stone, scheint eine Finte der Veranstalter zu sein oder ihrem Wunschdenken entsprungen. Das Referat Öffentlichkeitsarbeit der HU reagierte mit bassem Erstaunen und eher ungehalten darüber, dass die Veranstalter keine Notwendigkeit darin gesehen hatten, die Universität zu benachrichtigen. Auch in türkischen Organisationen Berlins wusste man bei telefonischer Rückfrage nichts von einer derartigen Veranstaltung.
Nachfolgend ein Bericht von Jörg Berlin:
Es erweckt Interesse und verdient Aufmerksamkeit, wenn türkische Vereine selbst von einer „armenischen Tragödie“ sprechen und zu einer Veranstaltung über dieses Thema einladen. Dies gilt auch, wenn zu befürchten ist, dass sie nicht der Aufklärung, sondern der Leugnung des Genozids dienen sollte. Tragödien berichten über Unglück und Leid von Menschen. Die Frage vor der in Hamburg angekündigten Veranstaltung war folglich, ob der eingeladene Redner und die Veranstaltungsbesucher Mitgefühl mit den Opfern der Tragödie zeigen würden.
Wer sich hier Positives erhofft hatte, verließ die Veranstaltung – insgesamt betrachtet – enttäuscht. Dies negative Ergebnis trat nicht, weil der angekündigte Wissenschaftler, wie es hieß, wegen einer Erkrankung nicht kommen und sprechen konnte. Es waren die abstrusen Thesen, die der Ersatzmann vertrat. Hier sind die Veranstalter verantwortlich. Eingeladen hatten die Jugendorganisation der Türkischen Gemeinde in Hamburg in Kooperation u. a. mit dem Türkischen Lehrerverein in Hamburg, dem Verein zur Förderung des Gedankenguts Atatürks und dem Verein der Türkischen Ingenieure e.V. Sie kannten diesen Mann und dessen Ansichten genau. Es handelte sich um den Schweizer Guillaume-Albert Houriet. Auch das Publikum wusste offensichtlich bereits im Voraus, was es von ihm zu erwarten hatte: Nicht Mitgefühl für, sondern Anklagen gegen die Armenier.
Der Veranstaltungsort, die Hamburger Universität, signalisierte dem Interessierten etwas wie Ernsthaftigkeit und Gewissenhaftigkeit. Daran fehlte es aber durchgängig. Die große Mehrheit der Hörer, wollte keine wissenschaftlichen Argumente hören oder Neues erfahren. Aus ihren Reaktionen wurde deutlich, dass sie vor allem psychologischen Zuspruch für ihr verunsichertes Selbstbewusstsein erwarteten. Und den erhielten sie reichlich. Anwesend waren etwa 150 Frauen und Männer, die mehrheitlich dem gehobenen deutsch-türkischen Bürgertum zuzurechnen sind. Positiv ist die aktive, gleichberechtigte Rolle auch junger Frauen zu vermerken.
Bei der Begrüßung der Anwesenden war zunächst noch die Rede davon, es gehe um ein „sensibles Thema“. Auch die Klagen darüber, dass in immer mehr europäischen Staaten verboten werden soll, einen Genozid an den Armeniern zu bestreiten, verstieß nicht gegen den Grundsatz, man müsse über alles offen diskutieren dürfen. Der Referent behauptete u.a., in Frankreich schiele der Präsident Sarkozy mit entsprechenden Äußerungen auf armenische Stimmen bei der anstehenden Wahl. (Ob der gleiche Grundsatz bereits verteidigt wurde, als es in der Türkei noch mit Strafe bedroht wurde, von einem Völkermord an den Armeniern zu sprechen, soll hier besser nicht thematisiert werden.)
Durch das Ablenkungsmanöver stand plötzlich nicht mehr die „armenische Tragödie“ im Blickpunkt.
Mit dem neuen Schwerpunkt „Rede- und Meinungsfreiheit“, durften sich die hier eingeengten Türken als die eigentlich zu beklagenden Opfer fühlen. Von den Armeniern war zwar auch noch die Rede, aber vor allem in der Rolle als Tätern, die den Türken ihre Rechte rauben, ihnen Böses nachsagen und wohlmöglich Schlimmes antun wollen.
Die Hauptthese des Referenten lautete: Es gab keinen Völkermord an den Armeniern. Das sei eine vor allem von der mächtigen Lobby der Diaspora-Armenier mit großem Erfolg verbreitete Lüge. Als Helfershelfer wirke dabei die kurdische („Terror“-)Organisation PKK mit. Beide wollten mit Hilfe Europas insgeheim die Türkei zerschlagen und sich gewisse Gebiete aneignen. Zumindest beabsichtigten sie, viel Geld von den Türken zu erpressen. Man ziele darauf, Atatürks Erbe zu vernichten. (Der Schweizer Redner behauptete hier, dass Schweizer Großbanken in einem ähnlichen Fall vor einigen Jahren gegen Recht und Gesetz und ihren Willen von einer jüdischen Lobby gezwungen worden wären, ihnen Geld aus alten Bankdepots zu überlassen. Schlimm waren hier und bei anderen Punkten deutliche antisemitische Begleittöne. Noch abstoßender klang der jeweils aufbrausende Beifall.)
Nebenbei forderte der Redner, die Türken sowie ihre Konsulate und Botschaften sollten offensiver werden. Der Rest der Welt habe keine richtige Vorstellung wie frei und gut die Menschen in der Türkei lebten. (Dabei gestattete er sich auch einige kritische Bemerkungen über jene Türkinnen, die in Teilen westeuropäischer Großstädte das Straßenbild mit Kopftüchern und bodenlangen Kleidern bestimmten und ein falsches Bild ihrer Heimat vermittelten.)
„Beweisen“ wollte der Redner seine Behauptungen u. a. damit, dass überhaupt erst in den letzten Jahren als Ergebnis einer armenischen Propaganda von einem Völkermord im Jahr 1915 gesprochen würde. Beim Holocaust an den Juden oder dem Völkermord z. B in Kambodscha sei unmittelbar nach den Verbrechen darüber berichtet worden. Wenn es einen Völkermord im Osmanischen Reich gegeben hätte, dann müsste doch wohl früher und nicht erst nach 90 Jahren darüber geklagt und berichtet worden sein. Richtig sei nur, dass während des I. Weltkrieges Armenier deportiert wurden. Das bezeichnete der Redner – und nach ihm manche Sprecher während der „Diskussion“ – als Notwehr gegen armenische Terroristen. Während die türkischen Männer an der Front kämpften, hätten Armenier im Hinterland Verbrechen begangen und den ohnehin schlecht organisierten Staat geschwächt. Den Diskussionsrednern, die diesen Punkt aufgriffen, bestätigte der Referent, dass in vielen Staaten Sabotage im Krieg mit dem Tod bestraft würde. Die Armenier sollten deshalb froh sein, dass sie nur deportiert worden wären. Außerdem gab es verschiedene Anwesende, die sich von dem Redner bestätigen lassen wollten, im Osten der Türkei hätten die Armenier 1915 einen Bürgerkrieg angezettelt. Deshalb wären Todesfälle weder zu betrauern noch Unrecht. Auch hier bestärkte der Redner solche Aussagen.
Insgesamt zeigte sich, dass weder der Referent noch die Masse der Anwesenden genauere Kenntnisse über die Ereignisse und das Schicksal der Armenier besaßen. In den Redebeiträgen kamen Vorurteile und verletzter Nationalstolz zum Ausdruck. Diffuse Gefühle bestimmten die Reaktionen. Ein deutscher Dichter, Christian Morgenstern, hat dieses Symptom der im Grunde durchaus nicht bösartigen Realitätsverweigerung, unter der ja nicht nur Türken leiden, allgemein formuliert und ironisiert: Der Leugner schüttelt den Kopf, „weil so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf!“
Völlig entmutigend endete die Veranstaltung jedoch nicht. Die Menschen sind auf das Thema „Völkermord an den Armeniern“ aufmerksam geworden. Es ist ihnen verständlicherweise höchst unangenehm. In solchen Situationen entstehen Aggressionen. Das ist ganz normal. Aber sie spüren, als denkende Menschen können sie dem Problem nicht allein oder dauerhaft mit Ressentiments begegnen. Als nach dem einleitenden Vortrag Anwesende zu Wort kamen, waren auch einige (erste?) positive Töne zu hören. Eine Frage lautete in kritischer Absicht, ob man sich getroffen habe, um Selbstmitleid zu zeigen oder um nach Möglichkeiten für einen Brückenbau zu suchen. Auch die wiederholte Forderung nach Offenlegung dessen, was eigentlich in den Dokumenten aus den Archiven stehe, ließe sich als Ansatz für Gespräche deuten. Zwar waren die meisten Anwesenden bereits vor der Veranstaltung überzeugt, in den Archiven lägen nur Beweise für die Unschuld der Türken. Aber wer einen Dialog will, findet hier einen Ausgangspunkt. Erst im gegenseitigen Austausch, der über bloße Gefühlsaufwallungen und Zornausbrüche hinausgeht, könnte überhaupt ein Verständnisprozess beginnen.
Am besten gefallen hat mir jener Beitrag eines türkischen Diskussionsredners, der sagte, man dürfe die Frage nach der geschichtlichen Wahrheit nicht dem Staat und den politischen Partien überlassen. Daraus könne kaum Gutes erwachsen. Seine Forderung lautete: „Die türkischen Demokraten müssen das regeln!“ Zu hoffen bleibt, dass es von ihnen immer mehr geben wird.
(hayastaninfo/bethnahrin)

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