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Geschichte

Ein armenischer Held den die Türkei lieber vergessen würde

Sarkis Torossian Armenier Völkermord Türkei
Das Foto zeigt Kommandant Sarkis Torossian in Konstantinopel im Juni 1915

Konfrontiert mit dem sich nähernden hundertsten Jahrestag des Völkermords von eineinhalb Millionen armenischen Männern, Frauen und Kinder durch die Hände von osmanischen Türken im Jahre 1915, plant die türkische Regierung die Erinnerungen an die armenischen Massaker mit Zeremonien zum Gedenken an den türkischen Sieg in der Schlacht von Gallipoli 1915 zu überfluten, schreibt Journalist Robert Fisk in der britischen Zeitung The Independent.

Schon jetzt haben treue Akademiker ihr Bestes getan, um die Anwesenheit von Tausenden von arabischen Truppen in der türkischen Armee von Gallipoli 1915 zu ignorieren und brandmarken auch jetzt noch einen armenischen Artillerie-Offizier der für seine Tapferkeit in Gallipoli ausgezeichnet wurde als Lügner, der seine eigene Biografie selbst erfunden haben soll, heißt es in dem Artikel.
Fisk schreibt, dass der Armenier Sarkis Torossian in der Tat persönlich von Enver Pascha mit Medaillen für seinen Mut ausgezeichnet wurde. Enver Pascha war Kriegsminister im Osmanischen Reich und einer der mächtigsten Männer in der osmanischen Hierarchie. Der größte Held von Gallipoli war Mustafa Kemal, der als Atatürk den modernen türkischen Staat gründete. Aber im Hinblick auf den Wunsch von einigen der prominentesten Historiker der Türkei Torossian als Betrüger zu brandmarken, sollte das Wort „modern“ vielleicht lieber in Anführungszeichen verwendet werden, so der Journalist.
Robert Fisk schreibt weiter, dass diese türkischen Wissenschaftler sogar behaupten, der armenische Kommandant habe seine beiden Medaillen von Enver frei erfunden. Doch einer der freimütigsten türkischen Historiker, Taner Akcam, der den Armenier-Genozid von 1915 anerkannt hat, hat Torossians Familie in den USA ausfindig machen können, traf seine Enkelin und inspizierte die Urkunden der beiden osmanischen Medaillen von denen eine die Originalunterschrift Enver Paschas trägt.
„Die Türkei will, wie wir alle wissen, der Europäischen Union beitreten. Doch wie kann die Türkei immer noch hoffen der EU beizutreten, wenn sie sich weigert die Wahrheit des Völkermords an den Armeniern anzuerkennen und diese Verweigerung durch einen skandalösen Angriff auf einen lange verstorbenen osmanischen Offizier symbolisiert?“, heißt in dem Artikel.

Enver Pascha verleiht Torossian Medaille

Torossians Memoiren, „From Dardanelles to Palestine“, wurden erstmals in Boston im Jahre 1947 veröffentlicht. Ayhan Aktar, Professor für Sozialwissenschaften an der Bilgi Universität in Istanbul, stieß vor 20 Jahren auf ein Exemplar des Buches und war – in Anbetracht des türkischen Versuchs die gesamte armenische Bevölkerung des Osmanischen Reichs im Jahr 1915 zu vernichten – erstaunt zu erfahren, dass Offiziere armenischer Abstammung für die Osmanen kämpften. In seinem Buch erzählt Torossian über die Schlacht von Gallipoli und anderen Kämpfen an denen er bis zum Ende des Ersten Weltkriegs teilnahm. Als er jedoch seine Schwester unter den armenischen Flüchtlingen in den Todeskonvois nach Syrien und Palästina vorfand, wechselte er zu den alliierten Kräfte.
Der türkische Professor Ayhan Aktar veröffentlichte eine türkische Sprachversion von Torossians Memoiren und schreibt, dass es sich bei Torossians Memoiren um ein „traumatisches Dokument“ eines armenischen Offiziers handelt. „Torossians Familie wurde trotz der Tatsache, dass Enver Pascha klare Befehle an die lokalen Gouverneure gab Familien von Offizieren nicht zu deportieren, in die syrische Wüste geschickt“, so Aktar.
Nachrangige Armenier der osmanischen Armee wurden entwaffnet und später während des Völkermords massakriert. Frauen wurden dabei routinemäßig von türkischen Soldaten, der Gendarmerie und ihren tscherkessischen und kurdischen Milizen vergewaltigt. Winston Churchill, der bedeutendste britische Staatsmann des 20. Jahrhunderts, bezeichnete die Massaker an den Armeniern als „Holocaust“, heißt es weiter in dem Artikel der Independent.
Der türkische Historiker Taner Akcam gibt an, dass Torossians Buch ein Loch in die dominant von der Türkei propagierte Version von Gallipoli reißt, in der nämlich die Schlacht von Gallipoli als ein Kampf von Türken bezeichnet wird. Wie Aktar jedoch aufzeigt, spielten nicht nur der Armener Torossian und andere Christen eine wichtige Rolle in der Schlacht von Gallipoli, zudem bestanden einige Einheiten des Militärs aus Arabern.

Torossians Familie wird massakriert

Während der Anfangsphase des Völkermords als man begann die Armenier gewaltsam zu deportieren, versicherte Kriegsminister Enver Pascha Torossian, dass seine Familie nicht deportiert werden würde. Jedoch ignorierte der Gouverneur der türkischen Provinz Kayseri diesen Befehl und fuhr mit der Deportation von Torossians Familie fort. Als nahezu die gesamte Familie des armenischen Offiziers entgegen aller Versprechen massakriert wurde wechselte er die Seiten und kämpfte mit den Alliierten. Nach Kriegsende emigrierte Sarkis Torossian nach Philadelphia wo er seine Memoiren schrieb und 1954 im Alter von 63 Jahren in New York verstarb.
In der offziellen türkischen Geschichtsschreibung wird der Name sowie der Erfolg von Sarkis Torossian in der Schlacht von Gallipoli aufgrund seiner armenischen Herkunft verschwiegen.
Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu gab vor zwei Jahren in Gallipoli eine Rede und sagte: „Wir werden das Jahr 1915 in der ganzen Welt bekannt machen. Jedoch nicht als den Jahrestag eines angeblichen Völkermords, sondern als den glorreichen Widerstand einer Nation – in anderen Worten, ein Gedenken an unsere Verteidigung von Gallipoli.“
Robert Fisk schreibt, dass laut Davutoglu also der türkische Nationalismus in ein paar Jahren über die Geschichte siegen soll. „ Die Nachkommen von denen, die in Gallipoli gestorben sind, könnten jedoch ihre türkischen Gastgeber im Jahr 2015 fragen, warum sie nicht jene tapferen Araber und Armenier ehren – einschließlich Torossian – die Seite an Seite mit dem Osmanischen Reich gekämpft haben“, so der Journalist.

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