Das Foto einer Oma und eines Soldaten, der sie umarmt, geht um die Welt. Man weiß, es stammt aus dem Jahre 1993 und wurde im Zuge des Bergkarabach-Konflikts geschossen. Doch welche Geschichte verbirgt sich hinter dieser Aufnahme. Ein Interview mit Sarkis Hatspanian, dem Mann auf dem Foto, gibt Aufschluss über die Hintergründe und wie das Foto für türkische Verfälschungen missbraucht wurde.
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Wie kam es zu diesem Foto?
Sarkis Hatspanian: Es war im April 1993, während der Befreiung von Karwatschar. Dort waren hunderte friedliche Einwohner. Die Männer schienen weggelaufen zu sein und hatten die Menschen hilflos zurückgelassen. Wir näherten uns einer Gruppe von Frauen. Eine 80-jährige Dame fragte mich vorwurfsvoll: „Warum seid ihr so spät? Bald werden die Armenier kommen und in die Stadt eindringen. Unsere Männer sagten – wir gehen, wir werden einen Helikopter nach euch schicken. Sie gingen und ließen uns hier.“
Ich verstand, dass die Frau uns für ihre aserbaidschanischen Leute gehalten hat. „Die Armenier sind schon hier“, sagte ich. Ich war verantwortlich für die Gefangenen. Ich hatte alle meine Leute angewiesen respektvoll mit der Bevölkerung umzugehen. Wir versammelten die Einwohner und sagten ihnen, das ihr Leben und ihre Ehre in Sicherheit ist und das wir nicht gegen die friedvolle Bevölkerung sind. Im Gegensatz zu den aserbaidschanischen Soldaten erheben wir unsere Waffen nicht gegen unbewaffnete Menschen und demütigen sie nicht.
Unser Kampf ist ein Kampf gegen Soldaten, nicht gegen die Zivilbevölkerung
Da war auch eine 81 Jahre alte Frau – Sheikha Khanum, die von jedem respektiert wurde. Sie war eine Dichterin. Ich mochte es mit ihr zu sprechen. Sie sagte: „Dieser Krieg ist nicht der Krieg unserer Leute. Wir mögen Armenier. Wir alle wissen, dass dies armenisches Land ist. Es gibt überall armenische Gräber und Kreuzsteine – die Zeichen armenischer Kultur sind überall.“ Während diesem Gespräch mit ihr machte Zaven Khachikyan unbemerkt dieses Foto von uns beiden.
Wie alt waren Sie zu dieser Zeit?
Hatspanian: 30. Die französische Zeitung „Libération“ veröffentlichte damals das Foto und schrieb, dass die aserbaidschanische Frau den armenischen Kriegsfreiwilligen – also mich – mehr mochte als ihren Sohn. Sie veröffentlichten ebenfalls einen Artikel und zitierten aserbaidschanische Gefangene, die die Einstellung der Armenier als human bezeichneten. Am nächsten Tag schrieb die türkische Zeitung „Milliyet“, dass Gewalt gegen Tausende friedvolle Einwohner von Karwatschar angewandt wurde und veröffentlichte selbiges Foto. Die türkische Bildunterschrift zu unserem Foto lautete „Aserbaidschanische Oma die geflüchtet ist, küsst ihren Enkel und bittet ihn sich an den Armeniern zu rächen“. Ein Freund von mir in Paris sah diesen türkischen Artikel, hatte aber ebenfalls per Zufall den zuvor gedruckten Zeitungsartikel der französischen „Libération“ gesehen. Er schickte daraufhin beide Artikel an die Europäische Union als ein offenkundiges Beispiel für türkische Verfälschung und Verleumdung.